Das CLaM 2021 – Forschungsprojekt: Wie steht es um das Bersntolerisch?

von Heike Arnold

von Leo Toller, Bersntoler Kulturinstitut

Die CLaM 2021-Umfrage (Cimbro Ladino Mocheno 2021) untersucht die Praktiken des Sprachgebrauchs und die Einstellungen der Einwohner gegenüber den Minderheitensprachen, die in den deutschsprachigen Gemeinden der Provinz Trient und in den historischen ladinischen Gemeinden der Provinzen Trient, Bozen und Belluno gesprochen werden

Die deutsche Sprachminderheit der Bersntoler, wie sich die Einwohner des Fersentales selbst nennen, ist heute in den drei Gemeinden Frassilongo/Garait, Fierozzo/Vlarotz und Palù del Fersina/Palai en Bersntol angesiedelt. Sie umfasst aktuell etwa eintausend Menschen mit einer Tendenz zur Veralterung. Früher war das deutschsprachige Gebiet breiter, umfasste auch die Dörfer Vignola und Falesina sowie andere verstreute Ansiedlungen, von denen heute nur noch toponomastische Zeugnisse übrig geblieben sind.
     Die Besiedlung, die vorzüglich im XIII. Jahrhundert geschah, stellte eine letzte Phase der großen Siedlungswelle dar, die - von Bayern ausgehend – nach der Jahrtausendwende auch die südlichen Gebiete wie Tirol, den südöstlichen Teil von Trentino, die Hochebene von Asiago (Provinz von Vicenza) sowie die Lessiner Berge (Provinz von Verona) betraf. Im (Fersen-)Tal  (Valle dei Mòchini) handelte es sich um Bauern, die das Gebiet urbar machten, Höfe gründeten und sich mit etwas Viehzucht und der Nutzung des Waldes ein Auskommen sicherten.
     Auch wenn sich im Laufe der Jahrhunderte natürlich Vieles verändert hat und Neues hinzugekommen ist, hat die Landwirtschaft bis nach dem Zweiten Krieg überlebt. Seither ist sie rückläufig und jetzt sogar vom Aussterben bedroht. Nur der seit den 1970er Jahren entstandene Beeren-Anbau hat eine bestimmte Bedeutung. Der Tourismus ist nicht sehr ausgeprägt, und der größte Teil der Erwerbstätigen pendelt täglich ins Tal.
     So, wie im Verlauf von einhundert Jahren die Anzahl der Bevölkerung von 1786 auf 988 gesunken ist, hat analog dazu auch der Gebrauch des Bersntolerischen nachgelassen. Die verschiedenen Faktoren, die zu dieser Lage geführt haben, sind natürlich nicht nur auf die wirtschaftliche Situation zurückzuführen, denn es gibt auch eine Reihe politischer Aspekte, die weitreichende Folgen  hatten. Ohne so weit gehen zu wollen, diese hier ausführlich zu beschreiben, sei als ein Beispiel nur die Streitigkeiten über nationale Fragen erwähnt, die es ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab.
     Ende der 1990er Jahre fand dann endlich eine rechtliche Anerkennung der deutschsprachigen Gemeinschaften in der autonomen Provinz Trient statt. Im Jahr 2001 wurde das Ziel der Anerkennung eines Autonomiestatuts der autonomen Region Trentino-Südtirol erreicht. Es folgten zwei weitere wichtige Maßnahmen: im Jahr 2005 wurde das Bersntolerische im Trentinischen Schulsystem eingeführt; drei Jahre später wurde ein ordentliches Gesetz «… zum Schutz und zur Förderung der örtlichen Sprachminderheiten» verabschiedet.
     Die verschiedenen Akteure: die Bersntoler Gemeinschaft, die institutionellen Einrichtungen, die Schule und das Kulturinstitut wurden verpflichtet, sich in ihren Bereichen für den Schutz und die Förderung des Bersntolerischen einzusetzen. Es ist vorgesehen, dass die Sprache mündlich und schriftlich in den öffentlichen Einrichtungen innerhalb ihres Gebietes und zum Teil – unter bestimmten Bedingungen - auch außerhalb gebraucht werden kann, dass sie erlernt werden soll, dass die Toponomastik beachtet werden soll und dass das Verlagswesen und auch die audio-visuelle Information in der Sprache unterstützt werden sollen.
     Auch beim Eintritt in den öffentlichen Dienst haben Bewerber, die Kenntnisse der Minderheitensprache nachweisen können, absoluten Vorrang, besonders wenn es um das Lehramt und andere Stellen geht, bei denen es häufig Publikumsverkehr gibt.
     Vor diesem Hintergrund wird deutlich, wie wichtig es für die Institutionen, die Verantwortung für die Unterstützung und Förderung der Sprache tragen, ist – in erster Linie sind dies die Kommunen, das Bersntoler Kulturinstitut, die autonome Provinz und die autonome Region – einen aktualisierten Stand der Sprache in Händen zu halten.
     Dieses Ziel konnte mit CLaM 2021, einer Umfrage, die von der Universität von Trient und den ladinischen, zimbrischen und fersentalerischen Kulturinstituten durchgeführt wurde, erreicht werden.
     Im Zuge des Projektes wurden mehr als 300 Menschen im Alter zwischen 14 und 80 Jahren befragt – fast ein Drittel der gesamten Bevölkerung der drei Gemeinden. Ziel der soziolinguistischen Befragung war, die Situation der Minderheitensprache (Lebendigkeit der Sprache) zu erfassen und die unterschiedlichen Einstellungen der Einwohner/innen zum Bersntolerischen zu erheben, um auf Basis der Datenerhebung gezielte Maßnahmen und politische Interventionen zum Schutz der Sprachminderheiten  planen und einleiten zu können.

Fragebogen & Ergebnisse

Der Fragebogen mit etwa 40 Fragen, wurde formuliert … um herauszufinden, in welchem Umfang, in welchen Situationen und mit welchen Gesprächspartnern die lokalen Sprachen verwendet werden,  welche sprachlichen Begabungen und welche Ideologien (Einstellungen) die Weitergabe der Sprache und die intragenerationenelle Kommunikation in den Familien bestimmen. Herauszufinden galt ebenfalls, wie sich die Situation außerhalb der Familie darstellt und ob das Erlernen und der Gebrauch der Sprache als Element der Aufwertung der  Heimat dient .
     Wir konzentrieren uns hier auf die Ergebnisse aus dem Fersental, also dem Anteil der Menschen, die sich als Bersntoler betrachten, die das Bersntolerisch verstehen und es sprechen.      
     Dabei ist zu beachten, dass, obwohl es zwischen den drei Gemeinden manchmal deutliche Unterschiede gibt, an dieser Stelle nur Mittelwerte angeführt werden:
     65% der Befragten gab an, Bersntolerisch zu verstehen (Faktor 0802), 60% behaupten, es sprechen zu können (0803). Während also der Wert der Sprecher innerhalb einer Generation bei 60% liegt, sinkt er unter den Jugendlichen in ihrem Dorf auf 54% (0501). Diese Daten sind besonders interessant, da der Gebrauch des Bersntolerischen in der Kommunikation mit Arbeitskollegen/innen (0505), oder in den Gemeindeämtern (0507), sehr stark von der Ansprechperson beeinflusst wird. Oben ist erwähnt worden, dass die größte Anzahl der Arbeitskräfte außerhalb der Gemeinschaft tätig ist.    

Aber welche Rolle spielt in diesen Betrachtungen die Schule? Welche die Schriftpraxis?

Im Jahr 1998 wurde in der Volksschule in Vlarotz ein Projekt eingeführt, um das Bersntolerische und die deutsche Sprache zu nutzen. Seit 2006 schreibt das Gesetz der autonomen Provinz Trient Nr. 5 vor, im Unterricht das Bersntolerisch und Deutsch zu lehren und zu lernen.
     Die Frage, welche Sprachen die Schüler im Unterricht erlernt (0701) haben, ergab an erster Stelle mit 91% die Italienische, danach die Deutsche mit 76%, Englisch mit 35% und Bersntolerisch mit 9% - inzwischen überholt vom Trentinischen Dialekt mit 18%. Aus der Frage 0506 zum Gebrauch der Sprachen zwischen Freunden/innen wissen wir, dass der Trentinische Dialekt mit einem stolzen Anteil von 76% die Hauptrolle spielt, und so ist es nicht wunderlich, dass es auch in der Schule, wenn auch nicht in den Unterrichtsstunden, genauso ist.
     Was die Schrift betrifft, erklärt ein Viertel der Befragten, Bersntolerisch gut oder ziemlich gut schreiben zu können. Hier muss betont werden, dass die Bersntolerische Grammatik und der einheitliche Schriftkodex erst zwanzig Jahre alt sind (Rowley, 2003) und dass das Schulinstitut selbst erst seit 2008 jährlich Sprachkurse für Erwachsene durchführt.
     Die Umfrage CLaM 2021 hat auch einige Fragen über die Wünsche der Befragten umfasst. Wo das Bersntolerische nicht so stark verbreitet ist wie in Vlarotz, wollen 30%  es künftig besser anwenden können (1101). Ganz wenige sind der Meinung, dass der Gebrauch des Bersntolerischen in der Familie zu Schulschwierigkeiten bei den Kindern führen kann (1203), und mehr als 90% meinen, dass das Bersntolerisch in den Gemeindeverwaltungen Amtssprache sein sollte (1101).
     Man kann also schlussfolgern, dass das Bersntolerische sicher Schwierigkeiten hat, sich im Alltag und im Hinblick auf die sich wandelnden Verhältnisse der Bevölkerung des Tales zu behaupten, aber auch, dass die Einstellungen der verschiedenen Generationen gegenüber ihrer Minderheitensprache positiv gewertet werden dürfen.
      So ist man zum Beispiel der Meinung, dass Bersntolerisch neue Bereiche erobern kann wie zum Beispiel die Gemeindeämter, und man äußerte den Wunsch, die jungen Generationen sollen die Sprache doch wenigstens in der Schule erlernen. Man kann auch folgern,  dass vielleicht noch mehr Wert auf die deutsche Sprache gelegt wird, wie es auch das Landesgesetz von 2006 schon vorgesehen hat.

     Ergo: die Arbeit, neue didaktische Sprachmittel zu entwickeln, neue Räume auch in der globalen Welt des Internets zu erschließen, aber auch insgesamt in unseren Gebieten adäquate Angebote zur Unterstützung der Sprachminderheiten zu gewährleisten, ist groß und wird bestimmt auch in den nächsten Jahren nicht ausgehen.

Zitierte Quellen
Dell’Aquila Vittorio, Ramallo Fernando, Rasom Sabrina (Hrsg.) 2022 Clam 2021, cimbri, ladini, mòcheni, i dati, Sèn Jan/San Giovanni di Fassa (TN), Istitut cultural ladin. Rowley Anthony. R. 2003    
Liacht as de sproch, grammatica della lingua mòchena, Grammatik des Deutsch-Fersen-talerischen, Palù del Fersina (TN), Istituto culturale mòcheno-cimbro. https://cimbro-ladino-mocheno-2021.lett.unitn.it (28.03.2024)